Säulen des Plattformismus – Eine Übersicht

Während sich Anarchist:innen zumeist einig sind, dass es eine andere und bessere Gesellschaft braucht, gibt es zahlreiche Differenzen darüber, wie diese Gesellschaft aussehen soll und wie wir zu ihr kommen. Daher gibt es auch zahlreiche Ansätze und Theorien darüber, wie anarchistische Organisationen strukturiert sein sollen. Wir bekennen uns, wie unser Name schon sagt, zum plattformistischen Anarchismus. Plattformismus bezeichnet eine Form der Organisation, die nach vier Grundprinzipien strukturiert ist: Theoretische Einheit, Taktische Einheit, Kollektive Verantwortung und Föderalismus.

Theoretische Einheit

Wir als Plattformist:innen sind davon überzeugt, dass eine einheitliche Vorstellung in Theorie und Praxis notwendig für gelingende politische Organisation ist. Das Ziel dabei ist es, einer Beliebigkeit der Position und einer Handlungsunfähigkeit durch fehlende Auseinandersetzung mit theoretischen Ansichten entgegenzuwirken und eine Klarheit über die Positionierung der Gruppe zu haben. Hierdurch ist es den einzelnen Teilen der Organisation besser möglich, geschlossen nach außen hin aufzutreten und klare Entscheidungen im Sinne aller zu treffen.

Eine Einheit in der Theorie bezeichnet hierbei eine gemeinsame Vorstellung aller Mitglieder über die grundlegende Analyse des Menschen und der Gesellschaft. Das heißt, dass alle Mitglieder ein Menschenbild teilen sollten, sowie eine Vorstellung über die aktuellen politischen Verwerfungen und die Perspektive einer befreiten Gesellschaft.
Die Einheit in der Praxis beschreibt hingegen eine generelle Übereinkunft, was zu tun ist, um die Ziele einer neuen und besseren Gesellschaft zu erreichen. Hierbei handelt es sich nicht um Detailfragen, die eher in den Bereich des Strategischen gehören, sondern um den Blick auf das große Ganze.

Die Forderung nach einer einheitlichen Vorstellung ist nicht die Forderung nach einer Parteilinie. Vielmehr handelt es sich um organisch im Austausch entstandene Positionen, die im Konsens der Mitglieder und in einem Prozess, der alle Teile der Organisation mit einbezieht, gewachsen sind. Der zentrale unveränderliche Gedanke einer anarchistischen Philosophie ist die Möglichkeit der freien Entscheidung aller und ist dementsprechend auch ein integrativer Teil des Plattformismus.

Taktische Einheit

Wir haben durch die theoretische Einheit in unserer Organisation ein gemeinsames Ziel, doch gibt es immer viele verschiedene Wege, um Ziele zu erreichen. Durch eine taktische und strategische Einheit wollen wir erreichen, dass wir aus der gemeinsamen Überzeugung auch eine gemeinsame Praxis machen können. Nur mithilfe dieser einheitlichen Praxis kann jede Person in der Organisation ein Vertrauen zu jeder anderen Person entwickeln. Vertrauen wiederum ist der zentrale Baustein jeder organisatorischen Entscheidungsprozesse. Nur wenn jede Person jeder anderen Person in einer Organisation vertraut, können gemeinsame Ziele wirklich erreicht werden.

Bei der Einheit in der Taktik geht es um eine gemeinsame Vorstellung der konkreten Praxis.
Es geht darum, dass bestimmte Aktionen oder Projekte die durchgeführt werden von der ganzen Gruppe als effektiv zur Erreichung der Ziele angesehen wird. Die taktische Einheit speist sich dabei aus den Erfahrungen der Mitglieder und sollte immer mit Blick auf eine strategische Einheit hin ausgerichtet sein. Diese strategische Einheit beschreibt eine gemeinsame Vorstellung über das Zusammenspiel aller Mitglieder. Es geht hierbei weiterhin um konkrete Detailfragen der Praxis, aber in einer holistischen Betrachtung. Jede Person sollte dabei wissen wie sie die aktivistische Arbeit ihrer Genos*innen unterstützen kann und wie diese Genos*innen ihre Arbeit unterstützen können.

Die Einheit in Taktik und Strategie wird durch rigorose Selbst- und Gemeinschaftskritik immer wieder hergestellt. Sie ist so flexibel wie die Gruppe selbst und sollte immer wieder an die Situation angepasst werden, in der sich die Organisation wiederfindet. Der größte Vorteil von anarchistischen Strukturen ist die Möglichkeit zu ausgiebiger multiperpektivischer Betrachtung und daher sollte diese Stärke in der Praxis konstant genutzt werden.

Kollektive Verantwortung

Wirkliche revolutionäre Ziele können nicht von Einzelpersonen erreicht werden. Es braucht eine wachsende revolutionäre Gemeinschaft, um auf sie hinzuarbeiten. Natürlich wird diese Gemeinschaft von diesem Ziel angetrieben, aber zusammengehalten wird sie von gegenseitigem Vertrauen. Kollektive Verantwortung ist die gelebte Konsequenz dieses Vertrauens. Wenn wir unseren Genoss*Innen vertrauen können, dass wir dieselben Ziele haben, wenn wir uns gegenseitig Vertrauen, dass wir die richtigen Entscheidungen treffen können, muss es uns auch möglich sein, füreinander Verantwortung zu übernehmen.

Kollektive Verantwortung bedeutet, dass wir unsere Genoss*Innen niemals alleine stehen lassen, mit was auch immer passiert. Wir helfen ihnen wo sie Hilfe brauchen, wir sprechen an wo es Probleme gibt, wir handeln in ihrem Sinne und vertrauen ihnen auch in unserem Sinne zu handeln. Ihre Siege und Niederlagen sind unsere Siege und Niederlagen und umgekehrt. Wir vertrauen ihnen, dass ihre Entscheidungen immer im Sinne aller sind und übernehmen für diese Entscheidungen die Verantwortung.

In der praktischen Ausführung kann es daher keine kollektive Verantwortung ohne theoretische und praktische Einheit geben. Erst durch sie kann das Vertrauen geschaffen werden, das für den großen Schritt der kollektiven Verantwortung nötig ist. Das bedeutet, dass diese Einheit klar sein muss und wir uns alle immer wieder gegenseitig fragen, ob wir im Sinne dieser Einheit handeln und wenn nicht die Verantwortung dafür übernehmen.

Nur hier kann die Keimzelle der revolutionären Gesellschaft entstehen. Wir als Anarchist*innen glauben, dass Menschen ihre Entscheidungen selbst treffen können, dass in einer Gemeinschaft jeder Teil vollwertig am Entscheidungsprozess teilnehmen muss. Kollektive Verantwortung ist der Aufbau dieser Welt in der Alten. Nur wenn wir sie wirklich leben, kann aus ihr ein Wald entstehen, der die Ruinen der alten Welt überwächst.

Föderalismus

Eine neue Welt aufzubauen bedeutet auch, die Strukturen aufzubauen, die diese neue Welt haben soll. Das heißt, wir müssen bereits jetzt alles in wirklich demokratischen Strukturen aushandeln. Daher ist die letzte Säule des Plattformismus der Föderalismus.

Föderalismus ist eine basisdemokratische Struktur, in der die kleinste Einheit des Mitglieds einer lokalen Versammlung oder Rates auch die bestimmende Einheit für alle darauffolgenden politischen Strukturen ist. Unsere Entscheidungsfindung passiert über aufeinander aufbauenden Rätestrukturen. Hier bestimmten die Mitglieder das Programm und alle Entscheidungen werden immer zwischen den Räten hin und her kommuniziert. Am Ende müssen alle Entscheidungen gemeinschaftlich getroffen werden.

Wir leben in einer Gesellschaft, die eine solche Entscheidungsfindung nicht schätzt. Die oligarchischen Strukturen der Bundesrepublik bieten den Anschein von Demokratie, sind aber in Wirklichkeit antidemokratisch. Es scheint deshalb so, als wäre diese föderale Struktur ineffizient oder nahezu unmöglich. Das ist jedoch nur der Fall, wenn wir sie unter der Konkurrenzideologie des herrschenden Kapitalismus betrachten.

Wir glauben daran, dass Menschen gemeinsam zu Entscheidungen gelangen können, die alle berücksichtigt, zufriedenstellt und beteiligt. Durch die aktive Beteiligung aller können wir kollektiv zu einem wirklich demokratischen Konsens gelangen. Mit diesem sind wir dazu in der Lage eine Einheit in Ideologie und Strategie zu finden und kollektiv Verantwortung füreinander und die Organisation zu tragen.

Wir müssen Strukturen aufbauen, in denen wir leben wollen, und wir müssen sie im Hier und Jetzt leben und nicht erst in einer mystischen Zukunft, in der alles besser sein soll. Organisation ist Arbeit, aber diese Arbeit muss gemacht werden damit eine andere Welt wirklich wird

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