Wir demonstrieren und feiern heute am Vorabend des 1. Mai.
Wieso eigentlich ausgrechnet der 1.Mai?
Die Geschichte dieses Tages beginnt im Jahr 1886. Damals begann in den USA am 1. Mai ein riesiger Streik gegen den 12- und für den 8- Stundentag. Im ganzen Land streikten eine halbe Million Menschen, ein Fünftel davon in Chicago – maßgeblich organisiert von anarchistischen Gewerkschafter*innen. Ihr Hauptversammlungsort war der Haymarket. Nachdem die Polizei mehrere Arbeiter*innen erschossen hatte, gab es durch einen Unbekannten auch ein Attentat auf die Staatsmacht, mehrere Beamte starben. Die Cops richteten daraufhin ein weiteres Massaker unter den Arbeiter*innen an und verhafteten Hunderte. Acht Anarchisten, die tragende Rollen bei der Organisation des Streiks übernommen hatten, wurden in Folge in einem Schauprozess ohne jeden Beweis zum Tode verurteilt. Vier der Hinrichtungen wurden vollstreckt, einer tötete sich zuvor selbst. Ein internationaler Aufschrei folgte auf das, was als „Haymarket massacre“ bekannt wurde. Solidarität mit den Betroffenen vereinte die unterschiedlichsten Strömungen der Arbeiter*innenbewegung.
Deshalb legte drei Jahre später die zweite Internationale den 1. Mai in Erinnerung an die Getöteten vom Haymarket als „Kampftag der Arbeiter*innenbewegung“ fest. Er wurde ein weltweiter Aktionstag für den 8-Stunden Tag. In den USA wurde dieser zwar in den nächsten Jahren nach und nach eingeführt, jedoch erst über 50 Jahre später landesweit durchgesetzt.
Bis heute ist der 1. Mai für uns ein guter Anlass, gegen die Ungerechtigkeiten von Staat und Kapital auf die Straße zu gehen. Sachen wie der besagte 8-Stunden Tag, die 5-Tage-Woche und bezahlter Urlaub, allgemeines Wahlrecht, Arbeits- und Kündigungsschutz, das Verbot der Kinderarbeit wurden seitdem erreicht. Hierzulande gibt es noch eine mit Schikanen und Sanktionen versalzene soziale Absicherung und seit 2015 sogar einen kläglichen Mindestlohn.
Das Massaker vom Haymarket ist auch ein Beispiel dafür, was für heftige Opfer nötig waren, um noch so kleine Verbesserungen zu erkämpfen. Aber die meisten gelten für uns auch heute nur hier, in den Industriestaaten. Und… wir alle leben im Kapitalismus, es geht um Profite. Solange das so ist, sind all diese Errungenschaften nicht sicher.. werden sie nicht verteidigt, werden sie uns wieder genommen werden! Und es gibt auch neue Zumutungen: Immer mehr von uns werden am Arbeitsplatz überwacht. Hierzulande hat ein Viertel nur noch prekäre und befristete Arbeit – verdient weniger und hat oft weniger Rechte als Leute, die genau die gleiche Arbeit machen – Leiharbeit, Outsourcing, diese ganze Scheiße halt!
Das Arbeitsleben schluckt immer mehr von unserer Freizeit, steigende Mieten und Schulden einen guten Teil des Lohns. Ständig sollen wir uns selbst verbessern, mobil und erreichbar sein, uns anpassen. Das führt einerseits dazu, dass wir Perspektiven für eine Zukunft verlieren, die wir kaum noch planen können – andererseits zu Stress, Mobbing, Burnout und Depression. Es gibt nicht mehr wirklich eine Arbeiter*innenklasse, die sich auch als solche versteht. Wir bewegen uns in tausenden verschiedenen Nischen und Lebensrealitäten. Das macht es schon schwer uns zu verständigen, geschweige denn uns miteinander schlagkräftig zu organisieren. Die Unterdrückung und das Elend hören aber im Kapitalismus nach wie vor nicht damit auf sich immer wieder selbst neu herzustellen.
Viele von uns bekommen den Blick darauf verstellt, wenn wir unseren Selbstwert vor allem aus unserer Arbeit beziehen, sie verklären oder gar unsere ganze Identitat daran aufhängen. Dieser Arbeitsfetisch führt auch mit dazu, dass diejenigen von uns die keiner Lohnarbeit nachgehen – Erwerbslose, Alte oder Menschen mit Behinderung – abgewertet und wie Überflüssige behandelt werden.
Auch Haus -, Erziehungs- und Pflegearbeit wird abgewertet, schlecht oder garnicht bezahlt. Mit ihr ist kein Geld zu machen, auch wenn sie eine nicht wegzudenkende Grundlage unseres Zusammenlebens ist. Weil wir unter einem Patriarchat leben, also in einer Gesellschaft die Männer strukturell bevorzugt, fällt sie vor allem Frauen zu. Die Überhöhung der Lohnarbeit und der überall präsente Sexismus stützen sich gegenseitig.
Arbeit ist unter kapitalistischen Bedingungen immer Zwang und Zumutung, ganz egal ob wir für den Gewinn der Besitzenden oder Kinder, Küche und Kleinfamilie funktionieren müssen.
Es sollte aber unser Ziel sein, darauf hinzuarbeiten, dass jeder Mensch von diesen Fesseln befreit wird, alle sich nach ihren Fähigkeiten einbringen und nach ihren Bedürfnisse leben können. Arbeit sollte nicht das sein, was uns als Menschen definiert oder uns einen Wert zuschreibt.
Kapital, Patriarchat, Lohnarbeit – Scheiße!
Nur mit Reformen, so richtig sie sein mögen, werden wir diesen Mist nie überwinden. Der Kapitalismus lässt sich nicht nachhaltig verbessern. Im Gegenteil, er fährt den Großteil der Menschheit und sämtliches andere Leben auf dieser Erde mit zunehmender Geschwindigkeit gegen die Wand.
Angesichts dessen, bleibt nur festzustellen:
Ya basta – es reicht. Weg mit diesem System!
Es muss endlich wieder darum gehen, die Existenz von Klassen an sich zu überwinden, statt uns in der Klassengesellschaft einzurichten.
Wir wollen nicht nur ein Stück vom Kuchen. Wir wollen die ganze Bäckerei! Wir wollen die gleichberechtigte Verteilung des Wohlstands an alle!
Tja, aber gab’s den Versuch nicht schon mal? Entstanden aus einem Teil davon nicht Sowjetunion, DDR oder die Volksrepublik China, die letztes Jahr so nett war, uns eine Marx Statue aufzustellen? Hat da denn die Arbeiter*innenklasse den Staat übernommen und die klassenlose Gesellschaft aufgebaut? Nein, weder noch. Diese Staaten haben es noch nicht mal fertiggebracht, die erste und zweite Klasse in ihren Zügen abzuschaffen. Ihre antikapitalistische Rhetorik war letzten Endes roter Lack für einen stärker staatlich verwalteten Kapitalismus, brutale Diktaturen und Überwachungsstaaten – so ist China gerade als globaler Vorreiter dabei, seine Bürger*innen mit moderner Technologie in jeder noch so kleinen Alltagsregung zu bespitzeln und zu maßregeln. Sie haben es nicht geschafft, die Menschen zu befreien, weil sie das Herrschaftssystem des Staates, anstatt es zu zerschlagen, übernommen haben. Was als Befreiungsbewegung gedacht war, wurde so durch den Machtapparat ins Gegenteil verkehrt. Wir müssen den Kapitalismus überwinden, aber es geht nicht nur um ihn oder ausschließlich um Verteilungsfragen.
Er ist kein verdammter Hauptwiderspruch, neben dem Staat, Rassismus oder Patriarchat nur Nebensachen wären. Es muss uns darum gehen, Herrschaft in ALL ihren Formen loszuwerden – sonst werden wir keine einzige davon überwinden! Niemand ist wirklich frei, bis alle frei sind!
Vergangenen, revolutionären Bewegungen kann zu Recht ihre Erfolgslosigkeit oder neue Unterdrückung vorgeworfen werden. Ja, sie konnten besiegt, vereinnahmt oder übernommen werden. Das heißt aber nicht, dass ihre ursprünglichen Ziele falsch waren, oder dass das für alle Zeit so bleiben muss – die soziale Revolution ist nach wie vor notwendig. Die Zustände, gegen die sie sich richtete, sind nicht annehmbarer geworden – im Gegenteil.
Die Revolution ist aufs Neue zu erfinden – durch uns, heute.
Das ist alles.
Für uns muss die befreite Gesellschaft eine gemeinsame Utopie sein, die verschiedenste Kämpfe und Menschen vereinen kann. Eine Vision von selbstorganisiertem, gleichberechtigtem, grenzen- wie schrankenlosem Zusammenleben – von friedlicher, basisdemokratischer Kooperation und einer solidarischen wie nachhaltigen, an den Bedürfnissen aller orientierten Wirtschaftsweise.
Keine Angst für Niemand! Alles für alle! Weltweit!
a anti anticapitalista – overthrow the system – revolucion anarquista