Redebeitrag auf der Demo: Seebrücke – Schafft sichere Häfen!

Bertolt Brecht sagte mal:
»Es gibt viele Arten zu töten.
Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen,
einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken,
einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben,
einen in den Krieg führen usw.
Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.«

In den Suizid getrieben werden Menschen auch durch die Angst vor Abschiebung und
durch die nervenzerfetzende Isolation in deutschen Lagern für Geflüchtete.
Es gibt aber auch weitere Arten zu töten die in diesem Staat nicht verboten zu sein scheinen – oder zumindest ermöglicht oder nicht verfolgt werden:

  • Man kann Menschen bewusst im Meer ertrinken lassen, während man gleichzeitig andere daran hindert sie zu retten.
  • Man kann sie im Natodraht an der Grenze verbluten lassen.
  • Man kann sie wie Slieman Hamade in Berlin oder Christy Schwundeck in Frankfurt von der Polizei totschlagen oder erschießen lassen.
  • Man kann sie während einer Abschiebung ersticken, wie Aamir Ageeb auf einem Abschiebeflug von Frankfurt nach Kairo oder Kola Bankole noch am Flughafen.
  • Man kann sie durch folterähnliche Brechmitteleinsätze umbringen, wie Laye Alama Condé in Bremen oder Achidi John in Hamburg.
  • Man kann sie sogar, wie im Fall Oury Jalloh in einer Gefängniszelle in Dessau an eine Matratze fesseln und bei lebendigem Leib verbrennen. Dieses Jahr ist der kurdische Geflüchtete Amad Ahmad auf ähnliche Weise getötet worden, nachdem er über zwei Monate unschuldig in der JVA Kleve eingesperrt war.

Diese wenigen Namen stehen stellvertretend für die abertausenden Refugees, Migrant*innen und People of Color, die in den letzten beiden Jahrzehnten hier in Deutschland und an den EU-Grenzen durch staatlich gedeckte Gewalt oder bewusste Unterlassung von Hilfe umgebracht wurden. Sie haben noch etwas weiteres gemeinsam: Kaum jemand scheint sich für ihr Schicksal zu interessieren.

Es gibt Ausnahmen. 2015 zeigten Presse und private social media-Accounts massenhaft den Leichnam des zweijährigen Aylan Kurdi herum.
Er war beim Versuch seiner Familie nach Griechenland überzusetzen ertrunken und am Strand von Bodrum angespült worden. Die öffentliche Betroffenheit war groß, die Feststellung “sowas wäre undenkbar, unerträglich, sowas dürfe einfach nicht geschehen” allgegenwärtig.

Frage: Warum passiert so etwas weiterhin? Warum hat sich der große, entsetze Teil der Bevölkerung nicht massiv dafür eingesetzt sichere Fluchtwege zu schaffen? Warum sind Geflüchtete, die wie damals die Familie Kurdi von der Türkei nach Griechenland wollen, immer noch auf eine illegale, lebensgefährliche Passage in Schlauchbooten angewiesen? Warum müssen sie zigtausende Euros an Schlepper*innen zahlen – anstatt ganz legal die Tourist*innenfähre nehmen zu können, die gerade mal 17 Euro kostet. Warum sind dieses Jahr schon wieder 2.133 Menschen ertrunken? Und warum sind die EU-Grenzen nach wie vor die gefährlichsten Grenzen der Welt?

Die zahlreiche Teilnahme an der Seebrücken-Bewegung und an Demos wie “welcome united” in Hamburg oder “unteilbar” in Berlin dieses Jahr ist ein Zeichen dafür, dass wir es durchaus in der Hand haben dem etwas entgegenzusetzen. Dasselbe gilt für die unabhängigen Seenotrettungsprojekte: Allein Jugend Rettet hat in 2016 und 2017 circa 17.000 Menschen gerettet, bevor sie vom Staat daran gehindert wurden. Auch die Refugee Strike Bewegung, in der sich Geflüchtete selbst organisierten, hatte in den Jahren zuvor etliche Erfolge erkämpft. 2015 gab es eine enorme Solidaritätswelle – überall entstanden, da wo der Staat versagte, zivilgesellschaftliche Initiativen. Geschichte ist immer was Gemachtes. Sie wird gemacht auch und erst recht von unten, durch beherzte Menschen und es liegt an uns diese Erfolge aufzugreifen und nicht versanden zu lassen. Das tun wir hier und heute gemeinsam.

Trotzdem scheinen gerade eher Abschottung und Rassismus auf dem Vormarsch zu sein. Während die faschistische AfD Erfolge feiert und rechte Anschläge auf Unterkünfte kaum mehr verfolgt werden, werden antifaschistische, linke Bewegungen stärker denn je kriminalisiert.
Spürbar, wird das etwa beim Verbot der Plattform Indymedia Linksunten. Oder daran dass Horst “ich habe diese 69 Abschiebungen zu meinem Geburtstag nicht ausdrücklich bestellt” Seehofer derzeit laut über ein Verbot der Rechtshilfeplattform Rote Hilfe nachdenkt. Sie wurde schon einmal verboten: Im Jahr 1933.
Nazis morden, der Staat schiebt ab – das ist zwar seit ’45 meistens nicht mehr unbedingt das gleiche Rassistenpack, aber beide handeln durchaus rassistisch. Kurzform: Scheiße.

Wenn wir uns beim Kampf gegen Rechts auf diesen Staat verlassen, dann sind wir auch so richtig verlassen. Der unsichtbare Elefant im Raum heißt hier Kapitalismus. Die Regierenden, Gesetze und der sie durchsetzende Gewaltapparat haben eben nicht die Aufgabe Moral, Gerechtigkeit oder soziale Gleichheit durchzusetzen. Sie halten vor allem anderen ein destruktives Wirtschaftssystem am Laufen – eine Maschine zur Schaffung des Wohlstands Weniger und damit zur Vernichtung des Wohlstands der Vielen. Restlos alles, was wir durch vernünftige Planung bedürfnisgerecht untereinander aufteilen und nachhaltig nutzen könnten, wird einem Wachstums- und Verwertungszwang unterworfen. Auch der soll uns dann noch verkauft werden, und zwar als alternativlos. Der Faschismus war schon einmal willkommener Verbündeter bei seiner Durchsetzung, er könnte es wieder sein. Auch der Rassismus war und ist immer noch eine Ideologie, die half die weltweite Ausdehnung kapitalistischer Ausbeutung von Menschen und Resourcen zu rechtfertigen.

Die kapitalistische Maschinerie sorgt nicht nur hierzulande für einen kälteren Wind, durch Armut, Lohndumping, Leistungszwang und Umweltzerstörung. Sie sorgt auch weltweit für die allermeisten Fluchtursachen, etwa Hungersnöte oder Kriege um Rohstoffe. Es ist nicht möglich sie durch Reformen zu zähmen.
Auch wer sich die sogenannte soziale Marktwirtschaft zurückwünscht, die so super sozial nun auch nicht war, wünscht sich meistens nicht die Katastrophe zurück, die sie erst möglich machte. Das war der zweite Weltkrieg, der zeitweise Boom eine Folge des Wiederaufbaus.
Was wir aber können ist, nach der Notbremse greifen und das Räderwerk dieses menschenfeindlichen Systems stillegen! Es zerschlagen oder zumindest Sand im Getriebe sein. Angesichts der abertausenden Grenztoten, des fortschreitenden Klimawandels und des globalen Rechtsrucks ist es dafür höchste Zeit!

Wir versuchen gerade zusammen herauszufinden wie wir das schaffen. Wir freuen uns über alle Menschen, denen es nicht reicht nur symbolischen Protest auszudrücken sondern die mit uns Möglichkeiten zum Widerstand aufbauen wollen. Wenn dir das auch so geht, dann komm jetzt gleich nach dieser Rede rüber und quatscht uns an.
Eins ist klar: Antifaschistische Arbeit muss für uns mehr sein, als Saufen gegen Rechts oder nur der AfD vorzuhalten, wo sie das Grundgesetz ignoriert. Es geht darum Herrschaft in jeder Form zu hinterfragen und zu bekämpfen. Darum, selbstorganisierte, solidarische Strukturen aufzubauen, bei welchen Menschen im Mittelpunkt stehen – und nicht die Nation oder der Profit. Wir fragen uns gemeinsam: Wie kriegen wir es hin, effektiv Gegenmacht aufzubauen, statt nur den beschissenen Status Quo gegen die noch beschisseneren Rechten zu verteidigen?

Wir sagen:

  • Für uns verlaufen die Grenzen nicht zwischen Nationen oder Menschengruppen sondern zwischen oben und unten.
  • Für uns zählen keine angeblichen nationalen Werte oder Leitkulturen, sondern Menschlichkeit und Solidarität.
  • Und wir haben kein Vaterland – aber eine ganze Welt der Freiheit und Gleichberechtigung zu gewinnen.

POWER TO THE PEOPLE – NO ONE IS ILLEGAL!