Wir wollen heute zusammen an die Kernschmelze von Fukushima 2011 erinnern. Das erscheint uns in diesen Tagen dringender als je zuvor. Echt jetzt? Nach Fukushima wurde hier doch der Atomausstieg beschlossen! Die letzten Kraftwerke sind in drei Jahren vom Netz. Der Drops ist gelutscht, die Atomkraft besiegt. Und ist der Klimawandel nicht die dringendere, ökologische Krise der wir unsere ganze Kraft widmen sollten?
Tatsächlich sind weltweit hunderte neue Kernkraftwerke geplant. Drüben in Frankreich, nicht weit entfernt von Trier, steht nicht nur das marode Kraftwerk Cattenom. In Bure soll ein riesiges Endlager entstehen. Wenn in Cattenom oder Bure der Ernstfall eintritt sind Konstrukte wie Landesgrenzen, die sowieso niemand braucht, erstmal hinfällig. Dann geht die ganze Region mit den Bach runter, inklusive Luxemburg und Trier. Nicht nur globale Erwärmung, auch radioaktive Strahlung bleibt nicht vor fiktiven Linien auf einer Karte stehen. In direkter Nachbarschaft sind auch die Airbases Büchel und Spangdahlem. Stützpunkte, die geeignet sind, hässliche Nebenprodukte der Kernkraft, nämlich Atombomben, zu starten und aufzubewahren. Wer die Bedrohung mit nuklearem Feuer für ein Relikt des kalten Krieges hält, wird 2019 leider böse enttäuscht. USA und Russland, die sich in Syrien gegenüber stehen, haben Anfang diesen Jahres den INF-Vertrag zur beidseitigen nuklearen Entwaffnung entsorgt. Sie machen sich wieder daran ihre Arsenale aufzurüsten. Mit Indien und Pakistan sind gerade zwei Atommächte bereit sich wegen Kaschmir an die Gurgel zu gehen. Noch dazu regiert in Indien ein skrupelloser, hindunationalistischer Faschist für den es um die Wiederwahl geht.
Das Risiko für einen nuklearen Krieg war vielleicht seit der Kubakrise nicht mehr so hoch wie heute. Auch das Risiko nach Tschernobyl und Fukushima einen weiteren GAU zu erleben wächst stetig. Es geht, wie auch beim Klimawandel nach wie vor um nichts geringeres, als ein existentielles Risiko für die gesamte Menschheit. Ja, wir haben eine Zwischenetappe gewonnen. Aber zu viele haben sich beschwichtigen und vereinnahmen lassen. Andere sind gekauft worden. So sind beispielsweise einige ehemalige Greenpeace-Manager heute zu Fürsprechern der Atomkraft geworden. Hier zeigt sich die neue Strategie der Atomindustrie. Sie versucht, bedroht durch den Siegeszug der Erneuerbaren, den Status wiederzukriegen, den sie mit Hiroshima, Nagasaki und Tschernobyl verloren hat. Den der sauberen, modernen Zukunftstechnologie. Heute greifen Nuklearlobbyist*innen zum Greenwashing. Sie propagieren Atomkraft als Alternative – zu anderen fossilen Energieträgern die den menschengemachten Klimawandel noch stärker anheizen – sowie zu den Erneuerbaren.
Wenn die Gegenmacht von unten schwindet, kann das enstehende Vakuum von oben gefüllt werden. Unsere Gegner*innen versuchen heute unsere Begriffe zu übernehmen. Faschist*innen nennen sich Alternative. Produzent*innen von toxischem Müll der über hunderte Generationen hinweg weiterstrahlen wird, bezeichnen sich als Umweltschützer*innen.
Klar: Auf der Sachebene ist es leicht, zu zeigen, dass Atomkraft das Klima nicht schützt sondern es im Gegenteil massiv gefährdet. Wer schon mal Bilder eines Uranabbaus gesehen hat, weiß, dass auch Atomkraft einen fossilen Energieträger benötigt und das dessen Abbau mehr Schaden anrichtet als die Kohletagebaue im Rheinland. Wo einmal Wald war, bleibt giftig strahlende Wüste zurück. Zu Enteignungen und Vertreibungen kommen koloniale und genozidale Aspekte. Indigene Gemeinschaften, etwa in USA, Kanada und Australien leiden am stärksten darunter.
Die geschönten Zahlen zu den Co2 Emissionen der Kernkraft, die die Industrie 2014 dem IPCC unterjubelte, sind längst widerlegt worden. Es fehlten etwa 70% der Emissionen. Atomkraft ist weder Co2-neutral noch auf einer Ebene mit den Erneuerbaren. Doch diese Propaganda soll die Förderung der Erneuerbaren stoppen. AKWs können ohne beachtliche, staatliche Subventionen nicht mit ihnen konkurrieren – zwischen 1970 und 2012 flossen mehr als 213 Milliarden Euro in die Förderung der Atomenergie. Mittels Atomkraft nur ein Zehntel der weltweiten Treibhaus-Emissionen zu reduzieren, würde bedeuten die Anzahl der Kraftwerke zu verdreifachen. Doch dann würde der Uranverbrauch die bisherigen Quellen erschöpfen. Das wiederum hätte eine Verdopplung ihrer sowieso schon hohen Co2 Emissionen zu Folge.
Aber leider geht es halt kaum um Sachargumente. Wichtiger ist der Kampf der Erzählungen und um politischen Einfluss – wir leben in der Zeit von fake news und des Rechtspopulismus eines Donald Trump oder der AfD. Das Narrativ, dass die Atomindustrie uns gerne verkaufen möchte lautet: Wir sind die technokratische Lösung für die Klimakrise. Eine bei der Konzerne, die sie maßgeblich mit verursacht haben weiter bestehen und profitieren können. Eine bei der es keine Wachstumsreduktionen, keinen ökonomischen Systemwandel weg vom Kapitalismus braucht. Alles kann schön weiter so bleiben wie es ist. Die, die oben sind, können oben bleiben und die, die unten sind, unten. Die ökologische Revolution wird auf den St. Nimmerleinstag verschoben. Kein climate change, aber auch kein system change.
Wir von Stella Nigra dagegen sagen, das ist Quatsch. Wir sagen: Wir haben den Atomausstieg weder Fukushima noch der Regierung zu verdanken. Von den Geburtsorten der Bewegung der Autonomen, Brokdorf und Wackersdorf an, auf den Castor-Blockaden, im Wendland, vor Gorleben und auch vor Cattenom waren es Aktivist*innen, die den nötigen Druck und das Mobilisierungspotential für diesen Erfolg aufgebaut hatten. Sie haben über Jahrzehnte hinweg hart gearbeitet, haben sich nicht spalten lassen, sondern militanten und zivil ungehorsamen Taktiken gleichermaßen Raum eingeräumt. Sie waren und sind nicht nur reformorientiert sondern radikal! Sie wurden beflügelt von der Utopie einer sozial gerechten Gesellschaft – sie wussten, dass sie nur das kriegen, wofür sie auch kämpfen.
Längst nicht alle haben sich zurückgezogen oder sich zwischen Bioladen-Konsum, Grünenmitgliedschaft und taz-Abo in genau der Gesellschaft eingerichtet die sie dereinst noch überwinden wollten. Viele machen weiter. Bei Ende Gelände wird deutlich, auch die Klimagerechtigkeitsbewegung profitiert enorm von den Erfahrungen des Anti-Atom-Widerstands. Gerade haben im Münsterland 1400 beherzte Menschen gegen Atomkraft demonstriert. Ihr tut das hier und heute. Schön, dass ihr alle hier seid!
Wir sagen: Dasselbe gilt für die Klimakrise. Sie lässt sich nicht technokratisch, sondern nur durch soziale Rebellion abwenden. Es reicht einfach nicht, nur auf die Durchsetzung erneuerbarer Energien zu hoffen, den Stromvertrag zu wechseln oder den eigenen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Der stetig anwachense Energiebedarf einer kapitalistischen Wirtschaft kann nicht auf nachhaltige Weise gedeckt werden. Wer diese Illusion nährt, verlängert die Katastrophe, bis sie vielleicht unabwendbar wird. Wir haben bereits genug Zeit verloren. Liebe Leute, radikalisiert euch endlich!
Wir sagen, es braucht den Wiederaufbau einer handlungsfähigen Bewegung. Einer, die anders als früher nicht nur ein Thema hat. Unsere Kämpfe für die Überwindung des Kapitalismus, für den Schutz der Umwelt, für Gleichberechtigung und internationale Solidarität gehören zusammen. Sie können nicht getrennt voneinander gedacht werden.
Wir brauchen eine Bewegung, die das Zeug dazu hat die Energieversorgung autonom, autark und umweltverträglich einzurichten – und die Vergesellschaftung und gemeinschaftliche, basisdemokratische Verwaltung aller Lebensbereiche zu erkämpfen. Egal ob Wohnraum, Ackerland, die Kommunikationswege und Daten oder eben die Energieversorgung. Die Kontrolle darüber gehört in die Hände derer, die von ihnen abhängig sind. Nicht mehr und nicht weniger als das meint die Klimagerechtigkeitsbewegung wenn sie sagt: Power to the people. Wir haben lange genug mitangesehen, wie unsere Lebensgrundlagen aus Profitgründen ausgeschlachtet und zerstört wurden. Lasst sie uns zusammen zurückgewinnen!
In diesem Sinne: Atom- und Kohlekraft gehören weltweit abgeschafft.
Change the system – not the climate! Power to the people!
Danke fürs zuhören.