Kundgebung in Saarbrücken zum 9. Jahrestags der Ermordung kurdischer Freiheitskämpferinnen in Paris

Anlässlich des 9. Jahrestags der Ermordung der kurdischen Freiheitskämpferinnen Sara, Rojbîn und Ronahî am 9.1.2013 in Paris haben wir heute an der Gedenkdemonstration des kurdischen Gesellschaftszentrums Saarbrücken teilgenommen. Gemeinsam mit insgesamt ca. 80 Freund_innen und Genoss_innen brachten wir unsere Solidarität mit der kurdischen Revolution und insbesondere dem Frauenfreiheitskampf zum Ausdruck. Im nachfolgenden Redebeitrag setzen wir uns mit dem Potential dieser Bewegung als Lernfeld für die radikale deutsche Linke und ihrer weltweiten Bedeutung auseinander. Wir hoffen, dass wir auch in Zukunft den Austausch und die gemeinsame politische Arbeit lebendig halten. Şehîd namirin – Die Gefallenen sind unsterblich!

 

Unser Beitrag:

Hallo liebe Freund*innen, Auch wir Gedenken Sakine Cansız , Fidan Doğan und Leyla Şaylemez. Wir fordern Gerechtigkeit und die bedingungslose Aufklärung ihres Todes! wir freuen uns über die Einladung, heute als feministische Anarchistinnen hier zu sprechen. Wir arbeiten in verschiedenen politischen Gruppen und sehen große Chancen für die deutsche radikale Linke darin, von der kurdischen Frauenbewegung zu lernen. Sakine Cansız und viele ihrer Genossinnen haben eine Revolution angestoßen, die bis heute weitergetragen wird. Eine Revolution der Gesellschaft, der Geschlechterverhältnisse und der einzelnen Menschen, die gemeinsam eine freieres und gerechteres Leben anstreben. Sie haben uns gezeigt, wie wichtig es ist, die Solidarität und den Zusammenschluss von Betroffenen zu stärken, statt die Spaltung und Vereinzelung durch patriarchale Gewalt, kapitalistischer Ausbeutung und Krieg hinzunehmen.

Ihre Erfahrungen machen Mut, auch gegenüber staatlicher Repression oder Folter standhaft zu bleiben und für Menschenrechte einzustehen! Ihr Vorbild zeigt uns die Kraft der Wut und der Gemeinschaft, die entsteht, wenn sich verzweifelte und ohnmächtige Menschen zusammentun und nicht länger allein für ihre Rechte und gegen die systematische Gewalt kämpfen. Damit Menschen sich zusammentun und organisieren, braucht es Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung. Wir müssen dran bleiben – mit unseren Inhalten auf die Straße und in die Medien gehen und die einzelnen Menschen erreichen. Wir müssen ihnen eine Alternative zum bestehenden, gewaltvollen System anbieten und sie einladen, sich anzuschließen, um selbstbestimmt leben zu können!

Der Freiheitskampf der Kurdinnen ist ähnlich wie die Bewegung der Zapatista-Frauen im mexikanischen Chiapas von internationaler Bedeutung für FLINTA weltweit – also Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender-Personen. Der Erhalt und Ausbau paralleler Strukturen (quasi FLINTA-Schutzräume im großen Stil), wie er beispielsweise im irakischen Gebiet der Kandil-Berge stattfindet, schafft die Möglichkeit, fernab von patriarchaler und kapitalistischer Gewalt, ein in jeder Hinsicht nachhaltiges Leben zu führen – in Einklang mit der Natur und in solidarischer, gleichberechtigter und freier Gemeinschaft. Hier lernen und organisieren sich die Vorkämpferinnen der Gesellschaft. Ihre Bildung und Ausbildung in ideologischer, kultureller, handwerklicher und militärischer Weise bildet den Grundstein für eine egalitäre, sozialistische und feministische Haltung, die zum Ziel hat, auf den Idealen von Freiheit, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung, eine demokratische Autonomie in der gesellschaftlichen Organisation zu erschaffen. Das Verständnis von Grundbildung als notwendiger Teil von Selbstbestimmung und Selbstverteidigung, bietet ebenfalls einen alternativen, feministischen Ansatz für militante Organisierung.

Denn um fähiger Teil einer Selbstverteidigungseinheit zu sein, braucht es zwingend eine Auseinandersetzung mit struktureller Unterdrückung und Reflexion der eigenen Glaubenssätze. Auch das Erlernen einer kritikoffenen Haltung und eines direkten Umgangs untereinander fördert ein Miteinander, in dem statt Leistungsdruck und Konkurrenz, persönliches Potential und die gegenseitige Unterstützung dabei, bessere Revolutionärinnen zu werden, im Vordergrund stehen. Die YPJ und der Verband der Frauenkampfeinheiten YJA-Star bieten uns dadurch einen völlig neuen und vor allem antipatriarchalen Zugang zu Militanz als Selbstbehauptung und Verteidigung, und gleichzeitig als Übungsfeld für die befreite Gesellschaft. Schließlich beruft sich die kurdische Frauenbewegung auf eine Analyse des Zusammenspiels von Patriarchat und Kapitalismus und fordert eine kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeit beziehungsweise toxisch-männlicher Dominanz.

Was in der kurdischen Selbstverwaltung in Form von „Akademien zur Umerziehung“ oder regelmäßigen Selbstkritikseminaren für Männer inzwischen etabliert und institutionalisiert wurde, ist in der deutschen Linken in vergleichbarem Ausmaß nicht zu finden: Dazu zählen die intensive Beschäftigung mit Politik und Geschichte aus der unterdrückten „weiblichen“ Perspektive, eine entsprechende individuelle und gesellschaftliche Veränderung der persönlichen Haltung und Handlungen und des Geschlechterverhältnisses im privaten und öffentlichen Raum. Sichtbare Erfolge des kurdischen Frauenbefreiungskampfs sind zum Beispiel die paritätische und diverse Besetzung aller Gremien und Entscheidungspositionen in Bezug auf Geschlecht, Ethnie und Religion und die Ablehnung von insbesondere männlicher Herrschaft und Stellvertreter auf allen Ebenen. Unsere kurdischen Freundinnen führen diesen Kampf seit Jahrzehnten gegen die äußeren Feinde wie dem türkischen Staat oder den Daesh, aber sie kämpfen erst recht gegen die jahrhundertealten patriarchalen Traditionen – auch in den eigenen Reihen. Doch es ist nicht nur IHR Kampf, es ist der Kampf aller FLINTA weltweit, die das gewaltvolle System von Patriarchat und Kapitalismus nicht länger ertragen! Und es ist der Kampf aller revolutionären Kräfte, sich mit dem eigenen Geschlechterverständnis zu beschäftigen, um eine wirklich befreite Gesellschaft aufzubauen!

Lasst uns diese Kämpfe gemeinsam führen und lasst uns feministische Solidarität in der Welt verankern!
Jin Jiyan Azadî! (Frauen – Leben – Freiheit!)

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