Redebeitrag zum „Safe Abortion Day“ in Trier

Hallo liebe Freund*innen,

ich spreche heute für die Trierer Lokalgruppe der anarchakommunistischen Föderation die plattform.

Vielleicht fragt ihr euch, was hat denn Anarchismus mit Schwangerschaftsabbrüchen zu tun?

Ich würde sagen: Eine ganze Menge!

Zunächst einmal sind auch wir Menschen, die potentiell ungewollt schwanger werden können und mit den rechtlichen Hindernissen zu kämpfen haben, die in den anderen Redebeiträgen ausführlich dargestellt wurden. Aber heute will ich nicht über persönliche Betroffenheit sprechen, sondern unseren Blick auf selbstorganisierte gegenseitige Hilfe und abolitionistische Praxis lenken.

Abolitionismus bedeutet wörtlich übersetzt Abschaffung und ist eine soziale Bewegung, die sich gegen staatlich legitimierte Unterdrückung wendet. Zu Beginn konzentrierte sie sich auf die Sklaverei, inzwischen richtet sie sich auch gegen das strafende Rechtssystem und Gefängnisse. Aber auch Feminist*innen haben eine lange Tradition abolitionistischer Praxis: Die autonome Frauenbewegung beispielsweise hat Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt abseits von staatlichen Strukturen geschaffen oder gemeinsame Fahrten zum Schwangerschaftsabbruch nach Holland organisiert – stets in dem Wissen, dass der Staat die Gewalt und Fremdbestimmung nicht nur durch Gesetze und „Rechtsprechung“ legitimiert, sondern die Gewalt durch staatliche Institutionen wie der Polizei reproduziert wird. Auch heute noch sehen wir Beispiele dieser abolitionistischen Praxis: Das deutsch-polnische Netzwerk Tante Barbara aus Berlin unterstützt ungewollt Schwangere aus Polen dabei, die Schwangerschaft in Deutschland abbrechen zu lassen, indem die Ehrenamtlichen Termine in Kliniken in Berlin ausmachen, Übersetzungsleistungen anbieten, Unterkünfte in den Häusern der Freiwilligen vermitteln  und die Personen finanziell unterstützen. Die Ausgaben für einen Teil des Infomaterials von unserem Stand heute gingen auch an das Netzwerk! Ein weiteres Beispiel für einen gegenwärtigen abolitionistischen Ansatz liefert das Familienplanungszentrum Balance aus Berlin, welches Schwangerschaftsabbrüche zu Hause per Telemedizin ermöglicht und somit vielen ungewollt Schwangeren den Abbruch organisatorisch, emotional und finanziell erleichtert.

Die Geschichte der Gesetzeslage zum Schwangerschaftsabbruch ist zutiefst von Rassismus und Ableismus geprägt: Wer der weißen, nicht-behinderten Norm entspricht unterliegt faktisch einer Austragungspflicht, während Zwangssterilisationen eine reale Erfahrung für viele people of colour oder Behinderte sind. Fremdbestimmung wohin mensch sieht! Das Ganze wird dann weiterhin von einer ekelhaften Doppelmoral begleitet: Solange eine Person schwanger ist, ist sie aus Sicht des Staates um jeden Preis zu schützen – nicht als Mensch, sondern als Brutmaschine versteht sich – aber sobald das Kind geboren ist, fehlt die Unterstützung für Elternteil und Kind. Es sei denn, mensch hat Geld und kann sich Nahrung, Kleidung, Hygieneartikel, Gesundheitsversorgung und Unterstützung im Haushalt und bei der Kinderbetreuung leisten. Wie viele Alleinerziehende oder Eltern von vielen Kindern müssen teilweise zwei oder drei Jobs annehmen, um über die Runden zu kommen und dürfen sich dann gleichzeitig sowas anhören wie: „Vom Kindergeld könnt ihr doch sicher den nächsten Urlaub zahlen, also was beschwert ihr euch“? Insbesondere von alleinerziehenden Müttern wird erwartet und kaum gewertschätzt, dass sie sich aufopferungsvoll um ihre Kinder kümmern, während alleinerziehende Väter in der Regel finanziell besser aufgestellt sind – danke an den Gender Pay Gap an dieser Stelle – und sie dann oft bewundert werden, wie sie Job und Familie unter einen Hut bekommen. Was ein toller Typ! Naja..

Die Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft hat unendlich viele, teils sehr individuelle und teils strukturell bedingte Gründe. Einer ungewollt schwangeren Person vorzuschreiben, unter welchen Bedingungen sie diese Entscheidung treffen muss, ist entmündigend und entwürdigend. Schließlich weiß die Person selbst am besten um ihre Ressourcen und Möglichkeiten und vor allem: um ihren Körper! Und wenn der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen derart erschwert ist, wie wir es in Deutschland und insbesondere in Trier und Umland erleben, dann ist es kein Wunder, dass ungewollt Schwangere sich fremdbestimmt und ausgeliefert fühlen. So unterschiedlich ihre Gründe für den Abbruch der Schwangerschaft sein mögen, so gleich stehen sie vor den Paragrafen 218,219 Strafgesetzbuch. Sie alle sind gezwungen, diese zutiefst persönliche Entscheidung gegenüber einem Gesetz zu treffen, dass ihre Handlung verbietet und unter Strafe stellt, sollten sie sich nicht an die staatlichen Regeln halten. Was unabhängig davon, dass die Zeit drängt und durchführende Ärzt*innen überlastet sind, die rechtliche Verunmöglichung einer angstfreien und selbstbestimmten Entscheidung ist.

Und so ist trotz all der Unterschiede, die ungewollt Schwangere in der Entscheidung für einen Abbruch voneinander trennen, unser Anliegen das Selbe: Weg mit Paragrafen 218, 219 aus dem Strafgesetzbuch!

Unabhängig von unserer sozialen oder ethnischen Herkunft, unseren körperlichen oder mentalen Fähigkeiten oder unserem Alter eint uns diese abolitionistische Forderung nach körperlicher Selbstbestimmung, angstfreier Sexualität und dem zwanglosen Zugang zu Beratung und medizinischer Grundversorgung.

Nicht ohne Grund gab es Fahrten nach Holland, nicht ohne Grund gibt es die medical students for choice, die selbstorganisiert lernen, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen und nicht ohne Grund gibt es Netzwerke wie Tante Barbara, die Personen vor und nach einem Schwangerschaftsabbruch Begleitung oder eine Unterkunft anbieten: Wir alle wissen, dass wir uns auf den Staat in dieser Frage nicht verlassen können, denn er setzt seine Interessen von „Volkswachstum und Arbeitskraft“ immer gegen die Interessen und Bedürfnisse der Einzelnen durch – notfalls mit Gewalt und Strafe.

Daher lasst uns nicht darauf warten, ob und wie die Reformen der Paragrafen 218, 219 Strafgesetzbuch stattfinden. Sondern lasst uns einander beistehen, unsere Bildung und Versorgung rund um Schwangerschaftsabbrüche selbst organisieren. Lasst uns das gesellschaftliche Tabu brechen und Ärzt*innen ermutigen, die Eingriffe durchzuführen. Und lasst uns wütend gegen jede Form der Fremdbestimmung protestieren!

In diesem Sinne: My body – my choice!

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